pinselfisch - Kunst- & Literaturworkshops für Menschen jeden Alters
Polina
Paris
Ich wär so gerne Ethnologin
Luft und Liebe
Thelonius große Reise
20.000 Meilen unter dem Meer
Leben
Emil und die Detektive
Such dir was aus, aber beeil dich
Der 35. Mai
Pünktchen und Anton
Maus I & II
Persepolis
Die Sicht der Dinge
Shenzhen
Faust : der Tragödie erster Teil
Mister O
Wilhelm Busch und die Folgen
Wir können ja Freunde bleiben
acht, neun, zehn
Liebe schaut weg
Stadt aus Glas
Fun Home
Existenzen
Ganz Allein
Lebensbilder
Zahra´s Paradise
Weitere Titel und Rezensionen folgen!
Die Kategorie Graphic Novels wurde hier aufgrund der Tatsache eingeführt, dass dieses Medium deutlich mehr öffentliche Aufmerksamkeit verdient, als es derzeit hat. Zum einen verschwimmen die Grenzen zum Comic immer wieder, vor allem aber wird in der Öffentlichkeit das Erzählen in Bildern immer noch und immer wieder mit zweitklassiger Literatur assoziiert. Das gilt es zu ändern!
Hier eine kurze Begriffklärung:
Comics sind Bildergeschichten, die sich aus einzelnen Bildern, den Panels zusammensetzen, erscheinen meist in Heftform, mit einer begrenzten Seitenzahl und häufig in Serie und richten sich mehrheitlich an Kinder und Jugendliche. Bei Comics wird in der Regel arbeitsteilig gearbeitet: die Story wird vom Verlag bzw. dem Autoren geliefert, eine Person zeichnet, eine koloriert und eine lettert.
Graphic Novels sind Bildergeschichten, die häufig in Buchform erscheinen, oft eine Ernste und häufig auch autobiografische Geschichte erzählen und sich von Inhalt und Darstellungsweise her an Erwachsene richten. Bei Graphic Novels stammen die Idee und die Umsetzung, die Illustrationen, die Gestaltung und das Lettering meist von ein und derselben Person.

Wie im Film führen Comic und Graphic Novel den Betrachter von Bild zu Bild, lenken seine Aufmerksamkeit und erzeugen mit Farben, Formen, Figuren, Details und Hintergründen Spannung, Stimmung und subtile Informationen, die bereits auf uns wirken, bevor der Verstand den Text zu entschlüsseln beginnt. Damit vermögen Comic und Graphic Novel kraft ihrer Bildersprache das zu leisten, was mancher Lehrer, Erzieher oder Elternteil häufig jahrelang erfolglos versucht: Lust machen aufs Lesen.


Polina
Bastien Vivès
208 S.
Reprodukt 2011

Die Geschichte der großen Tänzerin Polina Semionowa wird hier von Bastien Vivès auf fantastische Weise nachgezeichnet. Die erst 1984 geborene Tänzerin wurde bereits mit 17 Jahren an der Berliner Staatsoper engagiert, nachdem sie die Ausbildung am Bolschoi Theater in Moskau mit Auszeichnung bestanden hatte.
Mit seinen Zeichnungen/ Lithografien die dreifarbig und mit schwungvollen Linien eine neue Ästhetik in die Graphic Novel bringen, gelingt es Vivès, sowohl die Bewegung der Tänzer einzufangen als auch deren Kraft und Anmut. So entsteht hier ein begeisterndes Plädoyer für den Tanz. Dabei werden weder die knallharte Anforderungen an die Disziplin bereits in der Kindheit der Tänzerin verschwiegen, noch der Ehrgeiz, der erforderlich ist, um ganz nach vorne zu kommen. Auch die Zweifel, welche der unterschiedlichen Lehren und der Lehrerpersönlichkeiten für die einzelnen Tänzer die richtigen sind, werden mit starken Bildern und knappen Texten begleitet. Künstlerisch und inhaltlich herausragend! Jps


Paris
Maarten Vande Wiele
Erika Raven
Carlsen Verlag
Graphic Novel, „Special Edition for Ladies“

Am Beginn dieser für Frauen konzipierten Reihe stehen drei Bände, einer davon „Paris“. Maarten Vande Wiele zeichnet in dieser Graphic Novel die Karrieren dreier Frauen nach, die bezeichnenderweise Hope, Faith und Chastity heißen: Hoffnung, Glaube und Keuschheit. Die drei treffen in Paris zusammen, jedoch führen ihre Lebensideale eher zu einer absurden Verzerrung ihrer Namen. Hope, nach einem Autounfall mit entstelltem Gesicht aber einem perfekten Körper, will in der Modestadt modeln.
Faith mit ihrer fantastischen Stimme muss jobben, um über die Runden zu kommen. Und Chastity, ein Societygirl mit aufwändigem Lebensstil, geht gleich anschaffen, um so einen reichen Mann zu finden, den sie heiraten kann. Alle drei Frauen halten verbissen fest an ihren Vorstellungen; schonungslos und glaubwürdig schildert Vande Wiele, (beim Szenario übrigens fachfrauisch beraten von Erika Raven!) die hohen Einsätze aller drei beim Kampf um Anerkennung, Erfolg und Geld. Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Drogen, Erpressung, körperliche und seelische Martyrien sind nur einige der Abgründe dieses Lebens.
Und es erwartet die Leserin auch kein happy end – aber damit kommt sie klar. Der Zeichenstil Vande Wieles orientiert sich am vermeintlichen Retro-Charme der 50er Jahre, doch wird mit dem Wechsel zwischen schwung-voller Linie und reduzierter Eckigkeit in drastischen schwarzweiß Kontrasten genau das Maß an Überzeichnung geschaffen, das zur Abstraktion notwendig ist... Jps


Ich wär so gerne Ethnologin
Margaux Motin
Carlsen Verlag
Graphic Novel, „Special Edition for Ladies“

Wenn frau gut zeichnen kann und damit Geld verdient, ist das noch lange kein ausreichender Grund, um mit dem Leben zufrieden zu sein, oder? Zumindest, wenn einem außerdem noch ein munteres Kleinkind durchs Leben wuselt, wenn Eltern und andere Familienangehörige ab und zu ihre ungebetenen Kommentare zum Tun und Lassen der Protagonistin abgeben und wenn die Versuche, ab und zu als bestangezogene junge Mutter aufzufallen, an den Spuckflecken des munteren Kleinkindes scheitern...
Um dem stressigen aber durchschnittlichen Leben einer jungen Mutter mit überdurchschnittlicher Zeichenbegabung tagebuchartigen Ausdruck zu verleihen, beschäftigt sich die Protagonisten außerdem noch mit solchen Planspielen wie: was wäre, wenn.... SIE wäre eben anscheinend gern Ethnologin geworden...
Mit ihren durchaus (selbst-)ironischen Kommentaren erinnert mich die Protagonistin an mich(damals) oder jede andere junge Mutter, die mit Humor, Gedankensprüngen und irgendwelchen Hilfsmitteln, wie Alkohol, Zigaretten u. ä. versucht, Beruf, Selbstverständnis und Mutter-Rolle unter einen Hut zu bringen. Tatsächlich gestaltet sich das heute etwas anders als vor 25 Jahren, aber am Grundproblem hat sich nicht viel geändert. Was sich erfreulicherweise wandelt, ist, dass es eine veröffentlichte „Aufzeichnung“ aus dieser Perspektive gibt, etwas, was anderen jungen Müttern zeigen kann, dass sie nicht alleine mit diesem anspruchsvollen Lebenskonzept sind. Und, dass es ungeheuer wichtig sein kann, sich in Zeiten dieser heftigen Beanspruchung eine individuelle Ausdruckform für Gefühle, Ideen und Gedanken zu suchen, wie auch immer. Also Mädels, haut rein! jps


Luft und Liebe
Hubert/Marie Caillou
Carlsen Verlag
Graphic Novel, „Special Edition for Ladies“

Der dritte Band dieser ungewöhnlichen und mutigen Sonderedition für Frauen beim Carlsen Verlag stellt für mich das Highlight der Reihe dar.
Im vorliegenden Band trifft das Genre Graphic Novel auf einen Inhalt, der sich anders als zeichnerisch zum Teil gar nicht darstellen ließe. Autor und Illustratorin zeichnen das komplexe und anschauliche Bild der Magersucht bei einer Frau und! bei einem Mann. Die beiden androgynen Protagonisten nähern sich einander im Laufe der Geschichte als Seelenverwandte. Gekonnt gelingt es der Künstlerin, die beiden zeichnerisch trotzdem differenziert darzustellen. Auch inhaltlich gut recherchiert werden die psychologische Zusammenhänge und damit die Kernproblematik der Magersucht eindrucksvoll auf den Punkt gebracht. Der Wunsch nach absoluter Kontrolle über den eigenen Körper und der Stolz über die aufgebrachte Selbstdisziplin werden als funktionierendes System anschaulich ins Bild gesetzt. Nähe und Sexualität werden niemals aufdringlich aber immer latent vorhanden als Hintergrund-Störung thematisiert. Diese Graphic Novel ist eines der wenigen mir bekannten, aktuellen deutschsprachigen Büchern zum Thema Magersucht, das die Chance hätte, sein Publikum zu erreichen. Ohne anzuklagen sendet es eine deutliche Message, zeigt schonungslos die Folgen der Magersucht auf und kann dennoch als Einstieg zu Selbstreflexion oder Gesprächen zum Thema mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen beiderlei Geschlechts dienen. Trotz des beklemmenden Inhalts ein Buch, über das ich mich freue. Mehr davon!JPS


Thelonius große Reise
Das Geheimnis des Nebelbergs
Susan Schade (Text) Jon Buller (Illustrationen)
Aus dem Amerikanischen von Carolin Müller
224 S., Knesebeck Verlag, 2012

Die vorliegende Graphic Novel ist ungewöhnlich: zum einen richtet sie sich bereits an Kinder ab ca. 10 Jahren, zum anderen wechselt die Erzählung Kapitelweise zwischen rein in Bildfolgen erzählten Teilen und Text-Kapiteln, die allerdings reich illustriert sind. Der nostalgisch anmutende Illustrationsstil, der sich farblich auf schwarz, weiß und blau beschränkt, ist äußerst liebevoll und detailreich; die Einschränkung in den Farben wird als wohltuend empfunden. Sprechende Tiere sind die Protagonisten. Die Erde nach einer großen Katastrophe ist nur (noch) von Tieren bewohnt, ob es Menschen je gegeben hat, gehört in den Bereich der Legende. Trotz dieses düsteren Settings erzählt das Buch positiv von Neugier und Abenteuern und von der Freundschaft der Tiere, die trotz ihrer unterschiedlichen Lebensweisen mit einander sprechen und zusammen halten. Auf die nächsten beiden Bände darf man gespannt sein! JPS


20.000 Meilen unter dem Meer
Ein Pop-Up-Buch
Sam Ita
14 S., Knesebeck Verlag, 2010

Dieses Buch ist schwer einzuordnen, wir haben es trotzdem unter Graphic Novels plaziert. Sam Ita legt mit diesem großartigen Pop-Up-Buch die Idee nahe, neue Zugänge zu alten Klassikern zu schaffen. Mit der Mischtechnik aus Pop-Up und Graphic-Novel verbindet es gleich zwei Techniken, die den voraussichtlich überwiegend männlichen Lesern ab ca. 8 Jahren sicherlich großes Vergnügen bereiten. Mittels raffiniert gebauter Pop-Up-Elemente entsteht die Unterwasserwelt oder Szenen an Bord der Nautilus in be-greifbarer 3-Dimensionalität, die Story lässt sich mittels ihres Comic-Erzählstil leicht verfolgen. Gerade deshalb wird sicherlich das Bedürfnis nach einer Textversion (oder nach dem Film zum Buch) bei den Lesern geweckt. Aber auch die Umsetzung von einfachen, kleinen Pop-Up–Bastelideen lässt sich sicher mit solch einer Vorlage animieren, dankenswerter Weise hat der Knesebeck Verlag auch dafür vorgesorgt: Pop-Up. Das Bastelbuch. (Rezension erfolgt später) JPS


Leben
Ein Leitfaden
Thomas Kriebaum
126 S., Luftschacht Verlag, 2012

Es kann ja allerlei unterschiedliche Gründe geben, warum jemand einen Leitfaden bezüglich des Lebens im Allgemeinen befragen möchte. Für diesen von Kriebaum brauchts eigentlich Keine. Der vorliegende Leitfaden zieht sich von der Geburt (und davor) durch alle zentralen Themen des Lebens (inklusive Religion, Sex, Kunst & Kultur und Sonstiges!). Die einfachen und die komplexen Dinge werden gleichermaßen mit spitzer Feder auf den Punkt gebracht, allemal unterhaltsam und durchaus geneigt, dem Leser ein paar alte Fragen im neuen Outfit zu stellen. Oder einfach nur mittels Humor die Tatsache zu befördern, dass so ein Leben, welches auch immer, tödlich endet... Amüsant und prägnant! JPS


Emil und die Detektive
Erich Kästner / Isabel Kreitz
112 S., Dressler Verlag, 2012

Isabel Kreitz hat sich nun auch den berühmtesten Kästner vorgenommen, und das Buch in der ihr eigenen, herausragenden Art in einen Comic umgewandelt. Dabei zeichnet sie sich, wie immer, durch sorgfältig recherchierte Szenarien und durch eine wunderbar textnahe Bearbeitung aus. Die Charaktere sind überzeugend umgesetzt, die Zeichnungen im Stil von Walter Trier, der damals die Buchcover zu Kästners Büchern zeichnete, und dessen Stil Isabel Kreitz auch schon im 35. Mai und in Pünktchen und Anton so meisterhaft weiterentwickelt hat. Kreitz hat diesen Klassikern des Kinderbuchs mit der Neubearbeitung als Comic ein neues Publikum eröffnet; hoffentlich erkennen recht viele Lehrer und Eltern dies Potenzial. Einen literarisch gelungeneren Einstieg in Comics und Graphic Novels lässt sich kaum finden. Zauberhaft! JPS


Such dir was aus, aber beeil dich
Kindsein in 10 Kapiteln
Nadia Budde
192 S.
Fischer Taschenbuch, 2010

Nadia Budde hat den (gereimten) Sprachwitz und die gezeichnete Schrägheit zurückgebracht in die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur. Schon dafür gebühren ihr Ruhm und Ehre!
Seit „Eins Zwei Drei Tier“, das noch während ihres Studiums entstand, und wofür sie gleich den Deutschen Jugendliteraturpreis (2000) erhielt, veröffentlicht Budde gegen den Strich gezeichnete Figuren voller Charme und unangepasster Hässlichkeit.
Das vorliegende Buch zum Thema Kindheit funktioniert altersübergreifend, und erhielt 2010 den DJLP in der Sparte Jugendbuch.
Ich ordne es bei den Graphic Novels ein, weil es in vielfacher Hinsicht geeignet ist, auch (jungen) Erwachsenen den Blick auf dieses Medium erfrischend zu erhellen.
Obwohl inhaltlich mit der Kindheit in der DDR befasst, empfehle ich es allen, die sich mit Kindheit beschäftigen wollen. Jps


Der 35. Mai als Comic
Erich Kästner/Isabel Kreitz
100 S.
Dressler Verlag 2006

Pünktchen und Anton als Comic
Erich Kästner/Isabel Kreitz
100 S.
Dressler Verlag 2009

Diese beiden Bücher leisten etwas Besonderes: sie verführen Kinder zum Lesen von Kinderbuch-Klassikern! Dabei schafft es Kreitz, den Stil Walter Triers fortzuzeichnen, der damals die bekannten Titelillustrationen für Kästners Bücher geschaffen hat. Kreitz entwickelt ihre eigene Bildregie mit genialen Lösungen auf zeichnerischer Ebene und bleibt dabei textnah am Kästnerschen Witz. So erschließen sich auch heutigen Kindern die inhaltlichen und sprachlichen Besonderheiten dieser beiden Werke Kästners und machen garantiert Lust auf mehr…jps


Maus I & II
Art Spiegelman
300 Seiten
Fischer, 2011

Die erstmals 1989 erschienenen 2 Bände von Spiegelmanns „Maus“ geben den Startschuss für Graphic Novels in Deutschland. In diesem gleichermaßen verstörenden und zutiefst berührenden Buch über den Holocaust berichtet Spiegelmann von den Erzählungen seines Vaters Wladek, einem polnischen Juden. Im Gespräch tasten sich Vater und Sohn mühsam an die eigene Beziehung und an die grausige Geschichte des Vaters heran. Einzig die Verfremdung aller Darsteller als Tiere, so sind z.B. die Juden als Mäuse, die Nazis als Katzen dargestellt, schafft einen Abstand, um das unaussprechliche Leid zu ertragen. Spiegelmanns zeichnerische Genialität schafft mit diesem Kunstgriff ein gestalterisch und inhaltlich herausragendes Jahrhundert-Werk, welches den Naziterror dokumentiert und nebenbei mit dem Vorurteil aufräumt, in Comic-Manier Gezeichnetes müsste zwangsläufig lustig sein. Jps


Persepolis
Eine Kindheit im Iran & Jugendjahre
Marjane Satrapi
347 S.
Süddeutsche Zeitung 2011

Auch bei der Geschichte Satrapis geht es um Aufarbeitung ihrer Kindheit und Jugend. 1969 im Iran geboren und in Teheran aufgewachsen, erlebte sie die islamische Revolution mit und wurde als 14-Jährige von ihren Eltern nach Wien geschickt, um sie dort in Sicherheit zu bringen. Doch Satrapi kehrt nach Teheran zurück, bevor sie in Straßburg Kunst studiert und 1994 nach Paris geht. 2004 erscheinen die beiden Persepolis-Bände auch in Deutschland und erregen sofort positiv Aufsehen (Comic des Jahres 2004 Buchmesse Frankfurt). Satrapi zeichnet schwarz-weiß, von Spiegelmann inspiriert, dennoch in einem sehr eigenen Stil. Ihre klare und eingängige Bildsprache vermittelt gekonnt zwischen den grausamen, skurrilen und persönlichen Erfahrungen in ihrer Heimat und der Macht des Humors und der Subversion. Tolle Möglichkeit zum Arbeiten mit Comics mit Jugendlichen aller Ethnien! Jps


Die Sicht der Dinge
Jiro Taniguchi
278 S.
Carlsen 2008

Als der Protagonist dieser Geschichte vom Tod seines Vaters erfährt, den er seit über 15 Jahren nicht mehr gesehen hat, kehrt er aus Tokio in seinen Heimatort zurück. Hier holt ihn die Vergangenheit wieder ein, er erkennt seinen eigenen Vorurteile und seine jahrelange Unfähigkeit, sie zu überwinden. Taniguchi selbst stellt in einem Nachwort die autobiographischen Bezüge her und arbeitet in seinem zauberhaft gezeichneten Buch mit Zeitblenden und den verschiedenen Perspektiven unterschiedlicher Lebensalter. Während der Kindheit des Jungen Yoichi ist der Leser häufig auf Augenhöhe mit dem Protagonisten, mit wachsendem Alter stellt er, auch räumlich, einen größerer Abstand her. Taniguchi ist ein Meister der Inszenierung von Räumen und Perspektiven, „die Sicht der Dinge“ ist hier nicht nur Titel sondern auch Programm. Ein Meisterwerk! jps


Shenzhen
Guy Delisle
160 S.
Süddeutsche Zeitung 2011

Der kanadische Zeichner Guy Delisle lebt Ende der 1990er Jahre für drei Monate in der chinesischen Wirtschaftsmetropole Shenzhen, um dort eine Trickfilm-Produktion zu überwachen. Er notierte seine Eindrücke in Form von Zeichnungen (überwiegend Bleistift) und verarbeitete alles am Ende zu dem vorliegenden Buch. Die Skizzen von Menschen, Begegnungen, Hotelzimmern und Straßenzügen strahlen eine geradezu absurde Unmittelbarkeit aus, das Lachen bleibt einem ab und zu im Halse stecken. Als positiv- unkritische Reiselektüre für China-Besucher nicht geeignet, als Animation fürs eigene Zeichnen auf Reisen umso mehr! (3 Bleistifte & 1 Fineliner genügen!) Viel Spaß! Jps


Faust : der Tragödie erster Teil
Flix
95 S.
Carlsen, 2010

Mephisto bringt versehentlich Gottes Computer zum Absturz und Gott damit so ziemlich an den Rand. Beim anschließenden Versuch, das Missgeschick zu beheben nimmt Mephisto Einblick in Gottes Anhänger-Datei. Daraufhin kommt es zu der berühmtesten Wette der Weltliteratur: wird der Teufel es schaffen, Heinrich Faust innerhalb eines Jahres vom Pfad der Tugend ab zu bringen?
Das Feuerwerk an Ideen, welches Flix hier abschießt, dürfte selbst aus klassikerfeindlichen, Goethe-hassenden Jugendlichen anbetungswillige Graphic-Novel-Jünger machen, und zwar in weniger als einer Woche.
Flix zeigt, dass intelligent gezeichnete Geschichten keine Altersbegrenzung nach oben brauchen, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, den Deutsch-Unterricht aufzupeppen. Also lasst uns weiter nach solchen Titeln forschen und die Zeichner anbetteln, weiter zu zeichnen: Klassiker der Weltliteratur vertragen durchaus eine Umsetzung in Graphic Novels, und die Schüler vertragen es allemal! Jps.


Mister O
Lewis Trondheim
32 S.
Reprodukt, 2003

Die Geschichten von Mister O gehören nicht zwingend in die Kategorie Graphic Novel, aber ich finde das anspruchsvolle Comicwerk Trondheims im Allgemeinen und Mr. O im Besonderen in mehrerer Hinsicht erwähnenswert: Zum einen ist dieses Heft ein schlagender Beweis für die altersübergreifende Akzeptanz von Bildergeschichten: sowohl sehr junge Jungs als auch Erwachsene jeden Alters lachen sich schlapp über die ewig erfolglosen Versuche des Mr. O, einfach nur einen Abgrund zu über-winden. Zum anderen verwende ich in meinen Comic-Zeichenkursen die Figur des Mr. O als Beispiel für punktgenaue und absolut einfache Zeichensprache. Das Argument, jemand könne nicht zeichnen, lässt sich anhand dieser Comicfigur sehr schnell entkräften: Strichmännchen kann jeder! Und auch die von Jungen häufig gewünschten drastischen Lebensumstände lassen sich selbst mit solch einfachen Figuren hervorragend umsetzen. Natürlich besteht Trondheims Kunst neben der so gekonnt reduzierten Figur (es gibt inzwischen auch noch Mr. I), neben der Farbregie des Heftes und der Bild-Dramaturgie durch unterschiedliche Perspektiven und Bildausschnitte in der unglaublichen Variationsfähigkeit der immer gleichen Geschichte. Nie wird sie langweilig und immer wieder gibt es neue Gags. Trondheim hilft so bei der Überwindung der Schwellenängste bei jungen Zeichnern, unterhält dabei aufs Vortrefflichste und macht im Übrigen auch Lust auf andere seiner Figuren. Ein wichtiges Comic-Heft, für das ich sehr dankbar bin! Jps.


Wilhelm Busch und die Folgen
von Ralf König u.A.
144 S.
Egmont, 2007

Anlässlich des 175. Geburtstags von Wilhelm Busch erschien dieses Buch, was wohl in erster Linie für Menschen verfasst worden ist, die an Bildergeschichten und besonders am Comic interessiert sind. Denn Buschs Urvaterschaft wird hier von neun unterschiedlichen Zeichnerinnen und Zeichnern aufs trefflichste klargestellt und fortgezeichnet. Ob gereimt, ungereimt oder ohne Worte, ob Manga oder Minimal Art: hier wird in Buschs Sinne Moral kritisch hinterfragt, Streiche ersonnen und durchgeführt und es wird keineswegs am Ende alles gut. Nicht selten ertappt sich der Betrachter bei Schadenfreude - auch so ein menschliches Phänomen. Wilhelm Busch und die Folgen ist eine thematische Einführung ins Genre des Comics und bietet allerlei Ansatzpunkte für Lektüre mit älteren Kindern und Jugendlichen. Jps


Wir können ja Freunde bleiben
Mawil (Markus Witzel)
64 S.
Reprodukt, 2005

Das vorliegende Heft war die Abschlussarbeit des Zeichners Markus Witzel alias Mawil, mit der er sehr gefeiert wurde: eine gelungene autobiographische Reflexion seiner Kindheit und Jugend in der DDR, mit den typischen Adoleszenzproblemen von erster Liebe und Zurückweisung.
Mawils lakonische Sprache und die Stimmungslage aus Peinlichkeiten, mangelndem und überbordenden Selbstbewusstsein und ein paar der für das Alter üblichen Grenzerfahrungen ergeben ein zartes aber eindrückliches Bild dieser speziellen Generation. Jps


acht, neun, zehn
Arne Bellstorf
96 S.
Reprodukt, 2006

Auch bei Arne Bellstorf ist die vorliegende Geschichte seine Abschluss-arbeit. Und auch hier geht es um das erwachsen werden und um eine erste Liebe. Außerdem wird die Beziehung zur allein erziehenden Mutter thematisiert und verdichtet die Geschichte zu einem vielschichtigen Gesellschaftsportrait: Vorort oder Kleinstadt, Schule oder Arbeit, Alltag mit Langeweile - bis die Liebe auftaucht. Toll, wie hier die Protagonisten auf Schönheit und flotte Sprüche verzichten können und wie dennoch viel Zwischenmenschliches fühlbar wird und wieder verweht...Mehr davon!jps


Liebe schaut weg
Line Hoven
80 S.
Reprodukt, 2008

Wieder eine Studien-Abschlussarbeit! Diese bemerkenswerte Graphic Novel erzählt die deutsch-amerikanische Famiilengeschichte der Künstlerin über 3 Generationen.
Nicht nur die aufwendig in schwarzweiß geritzten Schabkarton-Bilder zeugen von Präzision und einer durchgeplanten Szenerie, auch die sorgfältigen Recherchen und die geschickt ineinander verflochtenen zeitgeschichtlichen Episoden aus den USA und Westdeutschland lassen ein intensives Familienportrait entstehen, welches an alte Fotoalben erinnert.
So wird der Betrachter hineingezogen in ein persönliches Universum, dem man sich nicht entziehen kann- und warum sollte man auch?! Jps


Stadt aus Glas
Paul Auster, David Mazzucchelli
129 S.
Rowohlt Tb. 1997

Bei dem vorliegenden Buch, das übrigens u.A. von Art Spiegelman mit herausgegeben wurde, handelt es sich wieder um die Umsetzung einer literarischen Vorlage als Graphic Novel. Austers Texte werden häufig in der Sek. 2 deutscher Gymnasien im Schulunterricht thematisiert; hier wäre die Arbeit mit einer Graphic Novel bestimmt eine willkommene Abwechselung. Zumal, wenn Dank Mazzucchelli solch eine hervorragende Arbeit vorliegt, die auf besondere Weise den Zugang zu Austers Werk möglich macht. Auf grafischer und literarischer Ebene sehr anregend! Jps


Fun Home
Eine Familie von Gezeichneten
Alison Bechdel  
240 S.
Kiepenheuer&Witsch 2008

Das in den USA erschienene Buch war 2006 ein literarischer Überraschungserfolg: Alison Bechdel erzählt in ihrer autobiografischen Geschichte vom geliebten und merkwürdig unnahbaren Vater, der tragisch ums Leben kommt, als Alison 19 Jahre alt ist. Sie beginnt, die Familiengeschichte zu entwirren und entdeckt dabei des Vaters und ihre eigene Homosexualität. Auch die Liebe zur Literatur verbindet sie beide, in klug inszenierten Zeit-schleifen erinnert sich Bechdel an Familienereignisse, persönliche Nähe-momente mit beiden Eltern und immer wieder an die eigenen Irritationen während ihrer Kinder- und Jugendjahre, als das Geheimnis des Vaters noch unentdeckt war.
Ein mutiges und anrührendes Buch, trotz des thematischen Tiefgangs großartig locker und leicht gezeichnet. Wundervoll! Jps


Existenzen
und andere Abgründe
Yoshihiro Tatsumi
320 Seiten
Carlsen Verlag 2011

Tatsumi, 1935 in Osaka geboren, erfand in den 50er Jahren den Begriff „Gekiga“. Hierbei entwickelte er durch seine individuelle Interpretation des Mangazeichenstils eine realistische Darstellung der Psychologie seiner Charaktere und gab so dem japanischen Manga eine bis heute wirksame Erweiterung. Tatsumis Werke gelten inzwischen als Klassiker japanischer Erzählkunst und werden in viele Sprachen übersetzt.
Der vorliegende Band versammelt 13 Geschichten überwiegend dunkler Charaktere, die einen eher untypischen und exzentrischen Einblick in die japanische Gesellschaft gewähren. Die Existenzen und Rand-Existenzen, die wir hier kennen lernen, sind in der Tat mit einer komplexen Psychologie ausgestattet und werden zeichnerisch so dicht, dass man sich der Ausstrahlung ihrer Persönlichkeiten nicht entziehen kann. Jps


Ganz Allein
Christophe Chabouté
376 Seiten
Carlsen Verlag 2011

Chabouté zeigt uns die Geschichte eines Mannes, der Zeit seines Lebens abgeschlossen mitten im Meer auf einem winzigen Leuchtturmfelsen wohnt. Der seit Geburt entstellte Mann ist wird nach dem Tod seines Vaters regelmäßig einmal pro Woche von einem Skipper beliefert, dem der Vater Geld zu diesem Zweck überlassen hat. Als der Skipper mit einem neuen Bootsjungen die Tour fährt, erfragt dieser die Geschichte des Einsiedlers, den man bis dahin noch nie gesehen hat und der „Ganz Allein“ genannt wird. Der junge Bootsmann interessiert sich für den einsamen Leuchtturmwächter und nimmt vorsichtig Kontakt zu ihm auf. Dieses Interesse ändert das Leben des Einsiedlers komplett...
Die ganz in Schwarzweiß gezeichnete Geschichte fährt teils in ruhigen Kamerafahrten hin zum Leuchtturm und wieder fort, lebhafte Perspektiv- wechsel gibt es vor allem bei den Gedanken und Fantasien des Leuchtturmwächters. Dieser wird einem zunehmend vertraut und sympathisch, trotz seiner Missgestalt. Eine mitreißende Geschichte, fantastisch erzählt fast ohne Worte....jps


Lebensbilder
Autobiografische Geschichten
Will Eisner
477 Seiten
Carlsen Verlag 2011

Will Eisner, 1917-2005, genannt der „große, alte Mann des Comics“, begründete 1978 das Genre der Graphic Novel mit seinem Buch „Ein Vertrag mit Gott“. Das vorliegende Buch ist eine Sammlung autobiografischer Geschichten, die, zum Teil von Eisner selbst mit Vorbemerkungen versehen, sowohl seine persönliche und künstlerische Entwicklungsgeschichte aufzeichnet, als auch die Geschichte seiner Eltern und anderer Familienangehörigen behandelt. Eisner glaubte fest an das damals noch junge Medium Comic und entwickelte es maßgeblich mit, er prophezeite sogar schon Ende der 1940er Jahre dem Bilderroman, der Graphic Novel eine große Zukunft. Eisners Zeichnungen mit seiner typischen Handschrift und sein erzählerischer Stil gehören für alle Zeiten zu den größten Comickunstwerken und haben allen Comickünstlern der Welt eine Menge zu sagen. Wie gut sie auch für jedermann und jederfrau lesbar sind und neben Lesegenuss noch zeitgeschichtliche Einblicke in das Amerika der späten 30er und der folgenden Jahre geben können, das ist mit dem vorliegenden Band leicht nach zu vollziehen. Ganz große Kunst! jps


Zahra´s Paradise
Amir (Text), Khalil (Illus.)
272 S.
Knesebeck Verlag

Nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 kam es im Iran zu heftigen Protesten, bei denen bereits in den ersten Tagen zahlreiche Demonstranten getötet und Tausende verhaftet und gefoltert wurden- von vielen fehlt bis heute jede Spur. Dieses Buch begann als Blog auf www.zahrasparadis.com. Jetzt gerade, Mitte September 2011, auf Deutsch als beeindruckende Graphic Novel im Knesebeck-Verlag erschienen, wird die Geschichte einer Frau erzählt, die gemeinsam mit ihrem älteren Sohn nach dem jüngeren Sohn Mehdi sucht. Der Vermisste war unterwegs zu den Protesten gegen die offensichtliche Wahlfälschung, als er das letzte Mal gesehen wurde. Mutter und Bruder machen sich auf und suchen in Krankenhäusern, Gefängnissen und direkt bei er Gerichtsmedizin nach Mehdi, müssen aber überall erleben, dass ihnen weder Auskünfte gegeben werden, noch dass eine offizielle Stelle sie überhaupt anhören will. Mit fotokopierten Flugblättern (das allein ist schon illegal) mit Mehdis Foto werden Studenten und Freunde befragt, Mehdis Bruder begibt sich mehr als einmal in große Gefahr um etwas über den Verbleib seines Bruders zu erfahren. Am Ende bleibt nur die traurige Gewissheit, dass das menschenverachtende Regime neben vielen tausend Anderen auch Mehdi auf dem Gewissen hat. So sind die letzten 15! Buchseiten gefüllt mit der Aufzählung von 16901 Namen von Iranerinnen und Iranern, gedruckt in mikroskopisch kleiner Schrift, die seit der Gründung der „Islamischen Republik“ Iran 1979 bis Ende 2009 hingerichtet wurden, oder an den Folgen von Folter und Gefängnis starben.
Ein erschütterndes Buch. Sowohl sprachlich als auch zeichnerisch von hoher Virtuosität und mit großem Können scheinbar von leichter Hand geschaffen, entwickelt Zahra´s Paradise seine enorme Eindringlichkeit.
So bekommt eine (Jugend-)Bewegung Gesicht und Ausdruck, die sonst beinahe hinter der düsteren Fassade des íranischen Regimes zu verschwinden drohte. Amir und Khalil (Pseudonyme) mussten inzwischen das Land verlassen... jps



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